Er wäre unser Häuptling geworden

Eine persönliche Erinnerung an K. P. Herbach

Von Katja Lange-Müller

Unter den mehr oder minder polizeilich in Berlin gemeldeten Intellektuellen gab es nie besonders viele "Aborigines"; waren und sind - erst recht seit Berlin wieder den Job der Hauptstadt machen darf - dafür einfach zu plebejisch, die Ureinwohner dieser Gegend im Osten Deutschlands. K. P. Herbach, der allein der Kriegswirren wegen am 12. März 1944 im Ostpreußischen Seeburg geborene Sprössling einer Berliner Familie, wäre, wenn wir je einen gewählt hätten, unser Häuptling geworden.

Er hatte, was es dazu brauchte: Intellektualität und Herzensbildung, Mut und Demut, Witz und Melancholie, Nähe zu vielen von uns und doch auch die für seine Profession unerlässliche Distanz. Denn obwohl wir, die Berliner Schriftsteller jedweden Geschlechts, fast alle auf Duzfuß mit ihm standen, wussten nur seine engsten Freude, dass K. P. für Klaus Peter stand und nicht etwa für Karl Paul oder gar für Kommunistische Partei.

K.P., der große, kräftige Kerl, der weißblond-weiße Lockenkopf mit der vollen Tenorstimme, der bei Walter Höllerer an der TU Literaturwissenschaft studiert, bei Kiepert Buchhändler gelernt und anschließend für die Literaturzeitschrift "Litfass" als Redakteur gearbeitet hatte, war 34 Jahre lang der Pressereferent der Berliner Akademie der Künste und eröffnete 1997, gemeinsam mit Axel Haase, eine Literaturagentur am Kurfürstendamm. Seine Liebe aber galt einem "Kind", das 1951 - und ganz so wie es sich damals gehörte - das Licht der Welt erblickte, nämlich im Keller der Görrestraße 9 in Friedenau. 15 Jahre später adoptierte K. P. Herbach dieses "Buchhändlerkeller"-Kind - als Programmgestalter des Arbeitskreises Berliner Jungbuchhändler; es wohnt seither Carmerstraße 1, Hochparterre.

Von 1966 bis heute gab es dort pro Jahr etwa 40 Autorenlesungen, immer donnerstags um 21 Uhr - und immer bestens besucht. Und immer war es der Ehrgeiz K. P. Herbachs gewesen, dass die Berliner Premiere eines neu erschienenen Buches bei ihm stattfand, und so gesehen waren auch die meisten unserer Werke "echte Herbachsche Kellerkinder"; nichts besseres hätte ihnen passieren können. Und fast immer, auch nach seinem Herzinfarkt vor gut zehn Jahren, erwartete uns, die vor der ersten Lesung fast immer aufgeregten Autoren, ein nicht minder aufgeregter K. P. - und vom jeweiligen seiner unzähligen farbigen Tweed-Jacketts leuchtete uns ein Button entgegen, eine seiner ebenso zahllosen, nichtsdestotrotz speziell und sorgsam für den jeweiligen Autor oder Anlass ausgewählten Anstecknadeln.

An die Nadeln, die K. P. zu meinen beiden Lesungen trug, erinnere ich mich genau; einmal war es das Relief einer Gruppe von komischen bunten Vögeln und einmal ein kleiner versilberter Winkelhaken. Es war schwer, K. P. Herbach einen Button zu schenken, den er noch nicht hatte, doch wenn es einem gelang, dann strahlte er über sein ganzes rosiges Gesicht.

Das vorletzte Mal in seinem und meinem Leben traf ich K. P. Herbach mit einer Zuckerrübe am Revers - anlässlich einer Matinee im Brandenburger Theater, die er moderierte. Als wir "fertig hatten", stiegen wir, meine junge Kollegin Nina Jäckle und ich, samt K. P. zu Axel Haase ins Auto. Es war ein sonniger Tag; wir verpassten absichtlich mehrere Ausfahrten, aßen am Wegesrande Fisch und sangen aus voller Brust, Nina und ich viel lauter als K. P., K. P. viel schöner als wir. Wir sangen immer wieder die Ballade vom Fritze Bollmann, dem Brandenburger Barbier, der beim Angeln im Beetzsee ersoff, in den Himmel kam, Petrus mehr massakrierte als rasierte und daraufhin rausflog aus dem Paradies: "Uff de große Himmelsleiter kannste wieder runterjehn. / Kratz ma unten feste weiter; ick lass'mir nen Vollbart stehn."

Ach, K. P. wärst Du bloß Friseur geworden, gewesen, (geblieben?) - und Angler und Brandenburger. Es kann doch nicht sein, dass es Dir da oben, in der ewigen Bibliothek, besser gefällt als bei uns hier unten, in Deinem Buchhändlerkeller.

Zuletzt erschien von der Berliner Schriftstellerin Katja Lange-Müller der Erzählungsband "Die Enten, die Frauen und die Wahrheit"

 

 13.1.2004

© Berliner Morgenpost 2004